Tierschutz - Die Würde des Individuums ist unantastbar
Warum wir es unserem Grundgesetz schuldig sind, dem Tierschutz Verfassungsrang zu verleihen.
(Hamburg) Die Verfassung eines Staates ist keine Sonntagsrede. In westlichen Demokratien sind sie jeweils das grundlegende Fundament der gesamten Gesellschaftsordnung. Noch vor dem Wahlsonntag, jeder Parlamentsdebatte und schon sowieso einem Parteitag ist es die Rechtsstaatlichkeit, deren Grundstruktur in den Verfassungen geregelt wird, die das Wesen unseres Gemeinwesens ausmacht.
Von daher tut es einer Verfassung durchaus gut, wenn ihr Leitgedanke in einer kurzen, eingängigen und nicht zuletzt konsensfähigen Formel zusammengefasst wird. So ist zum Beispiel "das Streben nach Glück" so ein magischer Satz der US-Verfassung. Er setzt nicht nur eine Wegmarke, an der sich die weitere Marschrichtung nachgeordneter Gesetze bis hinunter zur Steuergesetzgebung orientieren; ein wirklich schöner Satz, viel mehr als nur eine Sonntagsrede, denn sie formuliert einerseits einen Gründungsmythos des Gemeinwesens und beschreibt andererseits auch den bis heute gültigen und unbestrittenen common sense des american way of life. Zivilisation.
In unserer Verfassung finden wir eine ähnlich Formel. Auch ihr kann man, was ihre Gültigkeit für unseren Alltag, ihre Ableitung aus unseren geschichtlichen Erfahrungen und nicht zuletzt aufgrund der Schönheit des Klangs und ihrer Aussage den Wert als Schlüsselsatz und Grundlage jeder weiteren gesetzlichen Überlegung nicht absprechen.
Unsere grundgesetzliche Universalformel lautet:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar".
Das Leitmotiv unserer Verfassung und ihre Wurzeln
Der historische Hintergrund, weshalb unsere Verfassungsväter und -mütter gerade diesen Gedanken an den Beginn und in den Mittelpunkt unseres Grundgesetzes stellten, ist klar: nach den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur sollte nie wieder der Wert des einzelnen Individuums negiert werden vom Glauben an einen anonymen "Volkskörper". Das unter diesen Vorzeichen der Tierschutz keine sofortige Berücksichtigung bei der Formulierung der Verfassung fand, muss man den Autoren nachsehen, denn es war den Nöten der Zeit geschuldet.
Aber die Würde des Individuums konnte auch schon vorher innerhalb unseres allgemeinen Wertekanons einen eigenen, übergeordneten Anspruch für sich geltend machen.
Diesen Gedanken gab es in Ansätzen bereits im Mittelalter, spätestens mit der Aufklärung konnte er sich durchsetzen und fand so mit der zunehmenden Durchsetzung allgemeiner Bürgerrechte auch Eingang in die westlichen Verfassungen. Er ist deswegen so tief im westlichen Selbstverständniss verwurzelt, weil seine Grundlagen bereits in der späteren Auslegung abendländischen Christentums gelegt wurden. Von der Feststellung "vor Gott sind alle gleich" ist es nicht mehr weit bis zur Forderung "vor dem Gesetz sind alle gleich". So lässt sich dieser beherrschende Grundgedanke unseres Grundgesetzes zurückführen bis zu den bahnbrechenden Ideen christlichen Selbstverständnisses. Die zehn Gebote würde bei uns sicher auch jeder Atheist unterschreiben. Christliche Moral und Werte haben sich bis tief ins unterbewusste Selbstverständnis christlich-abendländischer Tradition durchgesetzt.
Die Identifikation mit unserer Verfassung ist auch deshalb so wirksam weit jenseits tagespolitischer Auseinandersetzungen und Diskussion in Detailfragen, weil ihre Grundlagen eben viel tiefgründiger zu finden sind als bei Parlamentsdebatten und Parteitagsbeschlüssen deutlich werden könnte.
Der nachhaltige Erfolg des Grundgesetzes ist begründet durch sein Fundament. Es ist immer soviel wert, wie es unsere vorhandenen Wertvorstellungen, unsere Moral und unsere ethischen Maßstäbe in eingängigen Formeln zusammenfasst.
Das kleine, entscheidende Defizit unserer Verfassung
Was den Autoren unseres Grundgesetzes 1949 aufgrund der Scham über die damals noch sehr präsente unmenschliche Vergangenheit, aber auch die allgegenwärtige Not in den Städten wie zum Beispiel dem vollständig zerstörten Hamburg, allerdings entging, war die unbestreitbare Tatsache, dass sich das christliche Gebot der Nächstenliebe eben nicht explizit auf den Menschen beschränken lässt, sondern auf alle Individuen ausdehnt.
Die Bewahrung der Schöpfung meint nicht die Person, sondern das Geschöpf. Und tatsächlich ist uns diese Sichtweise heute wieder sehr viel vertrauter, als es im Nachkriegsbewusstsein der Fall war.
Der Tierschutz ist nicht eine Ansammlung von Wohlfühlparagraphen, sondern letztendlich Ausdruck der Moral- und Wertvorstellungen der überwiegenden Mehrheit der Deutschen.
Die Gesetze zum Tierschutz sind nicht perfekt. Aber welches Gesetz ist das schon? In der Gesetzgebung ist immer auch der Weg das Ziel. Das Ziel muss in allen Fällen Gerechtigkeit sein. Die Wege dorthin müssen in der Verfassung niedergeschrieben sein, sie müssen eingebettet sein in den grundsätzlichen Wertekonsens der Gesellschaft. Dieser schließt aber aber den Tierschutz nicht nur nicht aus, sondern verlangt im Gegenteil seine zentrale Formulierung innerhalb des Grundgesetzes. Es geht nicht um einen separaten Tierschutz, so wie es bei der Forderung nach dem Schutz der Würde der Geschöpfe nicht um "Menschenschutz" geht. Es geht um die unbestreitbaren, unteilbaren und unveräußerlichen Rechte eines jeden Individuums. Das Recht auf Würde steht in christlich-abendländischer Tradition jedem Lebewesen zu.
Deshalb muss es, um den Wert des Grundgesetzes als Manifestation der rechtlich relevanten Moralvorstellungen unseres Volkes zu erhalten, besser heissen: "Die Würde des Individuums ist unantastbar".